die Deutsche Literatur
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Brecht und Artaud
Versuch eines Vergleichs
YUUICHI ISHIDA
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1992 Volume 89 Pages 110-120

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Abstract

Brechts episches Theater und Artauds Theater der Grausamkeit stellen in vielen Punkten einen deutlichen Gegensatz dar. Aber wenn man sie auf ihre Einstellung zur Sprache hin vergleichend untersucht, kann man zwischen beiden eine grundlegende Gemeinsamkeit finden, wegen der in den 60er Jahren Peter Weiss' und Peter Brooks Versuche zur Synthese von Brecht und Artaud in ihren jeweiligen Aufführungen von "Marat/Sade“ Erfolge erzielen konnten.
Brecht interessierte sich für die dann später von dem englischen Philosophen John L. Austin als "performative“ bezeichnete Ebene der Sprache, auf der man mit der sprachlichen Äußerung nicht nur die-wirkliche oder fiktive-Realität beschreibt, sondern irgendeine Handlung hervorruft. Man beschreibt z.B. mit der performativen Äußerung "Ich verspreche, daß …“ keine Realität, sondern man führt damit den Akt des Versprechens aus. Aber mit derselben Äußerung führt der Schauspieler auf der Bühne nicht den Akt des Versprechens aus, sondern den des Spielens, denn auf der Bühne ist das Subjekt dieses performativen Satzes (="ich“) mit dem Subjekt des Sprechaktes (=dem Schauspieler) nicht identisch: Wenn der Schauspieler auf der Bühne den Satz "Ich verspreche…“ sagt, ist mit dem Wort "ich“ nicht der Schauspieler gemeint, sondern die dramatische Figur, die er spielt. Diese Dissoziation des Subjekts des Sprechaktes von dem des Satzes versucht Brecht in seinem Theater sichtbar zu machen, wenn er z.B. in seinen theoretischen Schriften den Schauspielern rät, statt der Form der ersten Person und der Gegenwart in der Form der dritten Person und der Vergangenheit zu sprechen.
Auf der anderen Seite war sich Artaud dieser Dissoziation, die Brecht im Sprechakt des Schauspielers auf der Bühne feststellte, auf psychopathologische Weise immer und durchaus bewußt: Artaud litt lebenslang-wahrscheinlich wegen der Drogensucht-an einem schizophrenen Bewußtsein, daß die Sprache, die er spricht, ihm nicht gehöre. Er schreibt z.B. in "Die Nervenwaage“, daß er bisher mit seinen Bemühungen gescheitert sei, weil ein Teil seines Denkens "bereits vorformuliert“ sei: "Vom Augenblick an, wo ich spreche, gehören die Wörter, die ich gebrauche, mir nicht mehr, weil sie Wörter sind; sie werden in ursprünglicher Weise wiederholt“. Er könne die Wörter nur so sprechen, als ob der Schauspieler auf der Bühne ihm nicht gehörende Rollentexte spräche. Deshalb versucht Artaud in seinem Theater die normale, schriftlich vorformulierbare Sprache zu vernichten und statt ihrer eine neue Sprache zu verwirklichen, die man nicht wiederholen kann. Nur diese Unwiederholbarkeit-so glaubt Artaud-schaffe jene Dissoziation, die der normalen Sprache zugrunde liegt, ab und ermögliche eine vollständige Identität zwischen dem Subjekt des Satzes und dem des Sprechaktes.
Also kann man feststellen, daß es sowohl in Brechts epischem Theater als auch in Artauds Theater der Grausamkeit um die Dissoziation des Subjekts des Sprechaktes (dem sprechenden Körper) von dem des performativen Satzes ("ich“) geht. Der Unterschied liegt nur darin, daß diese Dissoziation bei Brecht in bezug auf den theatralischen Sprechakt problematisiert wird, während sie bei Artaud durch die Geisteskrankheit ins Bewußtsein gebracht wird. Aber man kann auch sagen, daß sowohl das Theater als auch die Geisteskrankheit als Ansatz zur Erkenntnis der Grundstruktur der Sprache funktionieren können.
In Weiss' Stück "Marat/Sade“ finden diese zwei Ansätze-Theater und Geisteskrankheit-zugleich Verwendung: Die meisten dramatis personae dieses Stückes,

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